Es dauert nicht mehr lange, und wir begehen den Feiertag Allerseelen. Am 2. November wird er von Katholischen Christen gefeiert. Dort ist er der Tag des Gedenkens an alle verstorbenen Gläubigen. Die evangelische Kirche begeht ein vergleichbares Totengedenken am Ewigkeitssonntag, dem Sonntag vor dem ersten Advent. In der griechisch-orthodoxen Kirche gibt es keine Entsprechung für Allerseelen.
Samhain, das Sommerende...
Gleichzeitig wächst hierzulande das Interesse am vorchristlichen Totengedenken, verstärkt durch das kommerzialisierte Halloween. Ursprünglich geht Halloween auf das keltische Fest Samhain („Sommerende“) zurück, das heute traditionell am Abend des 31. Oktober gefeiert wird. Doch Samhain wurde nicht nur von den Kelten begangen – bei den Germanen war es die Zeit der Winternächte (altnordisch: Vetrnætr) und bei den Slawen das Dziady-Fest (Ahnenfest)*. Diese Feste markierten den Übergang in die dunklere Jahreshälfte und wurden als Zeit des Gedenkens an die Ahnen und zur Abwehr böser Geister begangen. In den kommenden Nächten kommen sich Jenseits und Diesseits nahe, so die alte Vorstellung. Das alles ist weithin bekannt – doch es gibt tiefere Aspekte dieser Zeitqualität, die weniger oft erwähnt werden.
* Dziady, der "Vorabend der Ahnen" Im Slawischen sind die ursprünglichen Rituale noch lebendiger in Erinnerung, als im Westen: Dziady, Wikipedia (webarchive)
Falsch: Halloween-Nacht. Richtig: Samhain-Tag.
Die gruselige Halloween-Nacht ist eine moderne Erfindung, die wenig mit den spirituellen Ursprüngen von Allerseelen und Samhain zu tun hat. Unsere Vorfahren, Kelten und Germanen gleichermaßen, verstanden den Abend vielmehr als Beginn eines neuen Tages – ähnlich wie im jüdischen Kontext. Bereits die Römer wunderten sich, dass die Kelten und Germanen so empfanden. So schrieb etwa Cäsar in seinen Gallischen Kriegen:
"Sie versammeln sich, außer im Falle eines plötzlichen Notfalls, an bestimmten festgelegten Tagen, entweder bei Neumond oder bei Vollmond; denn dies betrachten sie als die günstigste Jahreszeit für die Abwicklung von Geschäften. Anstatt nach Tagen zu rechnen, wie wir es tun, rechnen sie nach Nächten und legen auf diese Weise sowohl ihre gewöhnlichen als auch ihre gesetzlichen Termine fest. Die Nacht betrachten sie als Anbruch des Tages." [1]
Der spirituelle Hintergrund. Samhain und Martini.
So gesehen ist die Vorstellung einer „Halloween-Nacht“ mit ihren Horror-Aspekten wohl eher eine romantisierte Folklore und von den spirituellen Wurzeln weit entfernt. Für unsere Vorfahren war solch ein "Abend" ein Auftakt des geselligen Festtags.
So wurden Samhain und die germanischen Winternächte in vorchristlicher Zeit mit üppigen Festmählern, Feuer- und Ahnenritualen gefeiert, natürlich manchmal auch von Schabernack begleitet. Im einfachsten Falle wurde am Festtisch ein Platz für den Verstorbenen mit eingedeckt. Ob so oder so. Ein Grusel-Nacht-Fest war es sicherlich nicht. Und der echte Jahresausklang war es wohl auch noch nicht so richtig.
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Dziady-Fest in slawischen Ländern: Die Feuer sollten wandernden Seelen den Weg erhellen, damit sie sich nicht verirren und die Nacht bei ihren Lieben verbringen können [2]. |
Doch das tatsächliche Ende des bäuerlichen Jahres kam erst mit dem Martinsfest (um den 11. Nov.) – dem alten germanischen Erntefesttagen [3]. Samhain war somit kein absolutes „Jahresendfest“, sondern eine Übergangszeit am Ende des Sommers (einen Herbst kannte man nicht) in den Winter hinein, in der man den Ahnen und kürzlich Verstorbenen gedenkt und ihnen nahe ist.
Wir müssen dieses langsame Ende des Sommers es als eine intensive Zuwendung zur Totenwelt und Transzendenz hin verstehen, die einen lang Tag wärt. Länger aber auch nicht. Nach diesem Festtag ist jeder wieder in seine Lebenswelt entlassen und kehrt zu seinen Aufgaben zurück, denn die Arbeit des Bauern ist noch nicht gänzlich getan. Der Sommer endet nicht völlig abrupt, sondern flackert Anfang November vielleicht noch ein allerletztes Mal kurz mit einem Martinisommer-Fünkchen auf. Und erst mit dem verlöschen des Marinifeuers sind die Lebensgeister der Sommerzeit gänzlich erloschen.
Hier habe ich noch
ein schönes Beispiel "moderner Spiritualität" entdeckt, das sich wunderbar mit dem Allerseelen-Fest verbindet. Die Wiederbelebung alten Brauchtums muss nicht immer ausschließlich im Alten suchen – manchmal begegnet uns die zeitlose Schönheit auch in neuen Formen:
Mondnacht
Es war, als hätt' der Himmel
Die Erde still geküßt,
Daß sie im Blütenschimmer
Von ihm nun träumen müßt'.
Die Luft ging durch die Felder,
Die Ähren wogten sacht,
Es rauschten leis die Wälder,
So sternklar war die Nacht.
Und meine Seele spannte
Weit ihre Flügel aus,
Flog durch die stillen Lande,
Als flöge sie nach Haus.
Joseph Freiherr von Eichendorff
Und hier zur Gedicht-Interpretation >>
Quellen und weitere Hinweise
[1] https://en.wikipedia.org/wiki/Early_Germanic_calendars
Die Idee vom Beginn des Tages am Abend erholt sich noch lange Zeit im sogenannten Florentiner Kalender. Dieser war ein spezielles Kalendersystem, das in Florenz bis ins 18. Jahrhundert verwendet wurde. Im Gegensatz zum heute gängigen Kalender begann das neue Jahr am 25. März, dem Fest Mariä Verkündigung. Zudem begann im Florentiner Kalender der Tag traditionell am Abend.
https://en.wikipedia.org/wiki/Florentine_calendar
[2] Bildquelle: https://pl.wikipedia.org/wiki/Dziady_(zwyczaj)#/media/Plik:DziadyRKP01.jpg
[3] Zum besseren Verständnis des Martinifests empfehle ich gern an dieser Stelle mein preiswertes, nützliches Taschenbuch:
JACOB, Thomas; Immerwährender Gartenkalender: Band Nr. 2 – Herbstanbau von Gemüse; Dohna 2021
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