Grabstock Hacke und Pflug (Teil 4) – Die tropische Hackbaukultur als Vorläufer der pflügenden Landwirtschaft.

Linienband-Keramik
Ohne Töpferscheibe gefertigte linienbandkeramische Gefäße aus Mitteldeutschland (um 5500 v. Chr.). Nach WERTH der Hackbaukultur zuzuordnen, was tatsächlich auch zutrifft. Runde "Kürbisformen" sind die Urform dieser Keramik.

Vorbemerkung

Zählpixel Heute möchte ich mich in diesem Blog-Artikel der Landbaukultur widmen, die vor der sogenannten Pflugbaukultur existierte und aus der letztlich die pflügende Bodenbearbeitung hervorging: Und das ist  der Hackbau. Dabei stütze ich mich auf die Arbeiten des deutschen Agrarwissenschaftlers Prof. Dr. Emil Werth (1869–1958) und insbesondere auf sein 435-seitiges Lebenswerk “Grabstock, Hacke und Pflug” von 1954 [1]. In diesem Werk beschreibt er den Ackerbau mit Grabstock und Hacke (hier alle Blog-Beiträge) als integralen Bestandteil einer komplexen menschlichen Kultur, basierend auf dem damaligen Stand der Wissenschaft [2].

Der Hackbau ist Teil einer Kultur

Der Hackbau selbst ist ein Teilaspekt dieser Hackbaukultur und sollte nicht isoliert betrachtet werden. In der anthropologischen Definition von "Kultur" müssen solche Teilaspekte wie ein Cluster stets im Zusammenspiel gesehen werden, da sie eng miteinander verwoben sind und sich gegenseitig beeinflussen. Ob Sprache, Glaubenssysteme oder materielle Kultur – all diese Elemente stehen in wechselseitiger Beziehung zueinander. In diesem Sinne begann Werth, diese Teilaspekte zu beschreiben, worauf ich weiter unten noch näher eingehen werde.

Der Brandrodungs-Hackbau

Dass ich das Thema Hackbau aufgreife, liegt auch daran, dass ich in diesem Blog bereits an einem Beitrag über die Brenn-Kultur im Allgemeinen und den Brandrodungs-Hackbau im Besonderen arbeite [3]. Dabei wurde deutlich, dass der Brandrodungs-Hackbau offensichtlich Teil der Hackbau-Kultur ist. Dieser Aspekt blieb bei Werth durchaus nicht unbeachtet ([1] Seite 55). Allerdings wurde von Werth offensichtlich die enorme Effizienz des Brandrodungs-Hackbaus nicht berücksichtigt – diese Methode kann nämlich das Sechsfache an Ertrag bringen im Vergleich zur pflügenden Bodenbearbeitung. Diesen wichtigen Punkt möchte ich hier festhalten. Wer kausale Zusammenhänge zu Ende denkt, wird die Bedeutung dieser Feststellung erkennen.

Prof. Dr. Emil Werth und seine Thesen

Im Folgenden werde ich die von Prof. Dr. Emil Werth dargelegten kulturellen Aspekte der sogenannten Hackbau-Kultur der Übersichtlichkeit halber in Stichpunkten wiedergeben, ebenso wie die Entstehung dieser Kultur.
  1. Laut WERTH entstand der Ackerbau nicht in Vorderasien, sondern offensichtlich als Hackbau-Kultur in Südasien/Südostasien, speziell in den Tropen.
  2. Von dort aus verbreitete sich diese Kultur über den gesamten tropischen Gürtel der Welt – bis nach Afrika, Mesoamerika und möglicherweise Australien [Tasmanien?]. [4]
  3. Eine Ausbreitung vor dem Pflugbau fand auch in Richtung Mitteleuropa statt, bzw. der Hackbau blieb neben dem Pflugbau als Anhängsel erhalten. Die Ausbreitung der Ackerbaukulturen ist stark vom herrschenden Klima bedingt. Aus ihm entwickelte sich der Gartenbau.
  4. Nach WERTH war die Erfindung des Pfluges aus dem Grabstock eine Art „Notlösung“, um die Hackbau-Kultur aus der tropischen Zone heraus, beginnend nordwestlich von Indien, weiterzuentwickeln.
Die Thesen mögen heute in mancherlei Hinsicht zwar nicht mehr viel Beachtung finden, doch bieten sie interessante Denkanstöße und sollten weiterentwickelt werden. Zu diesem Zweck stelle ich die untenstehende, von mir erstellte Übersicht gern gemeinfrei zur weiteren Bearbeitung zur Verfügung.

Teilaspekte der tropischen Hackbau-Kultur nach WERTH

Die folgende Liste könnt man auch als Analyse-Katalog bezeichnen, oder wir nehmen meinen Begriff: "Analyse-Cluster". Genauer gesagt, habe ich eine komplette Methodik- und Analyse-Cluster-Theorie entworfen und hier auf dem Blog vorgestellt.
Hier nun der Analyse-Katalog von WERTH. Selbstverständlich mit möglichen Ausnahmen und fließenden Übergängen:
  • Hackbau: Die Feldbestellung erfolgt mit Grabstock (Spaten) oder Hacke, ohne Pflügen oder den Einsatz von Zugtieren.
  • Düngung: Es gibt faktisch keinen Tierdung als Dünger, sondern vorwiegend Aschedüngung aus Brandrodung. Die Aschedüngung enthält Phosphate, Kalium, Kalzium sowie Magnesium und Spurenelemente, aber keinen Stickstoff.
  • Arbeitsteilung: Männer roden, jagen, fischen, handeln und führen Kriege (öffentliche Angelegenheiten). Die Frauen hacken und bestellen die Felder.

Frau mit Grabstock
Japanische Frau mit Grabstock (S. Kinoshita, 1937)

  • Kulturpflanzen: Anfangs stehen Knollengewächse (z.B. Taro, Yams) und Fruchtpflanzen (z.B. Banane, Flaschenkürbis) im Vordergrund. In Amerika kommt Mais hinzu, in Afrika Hirse – Getreide ist ansonsten unbekannt.
  • Anbautechnik: Hackbauern pflanzen ihre Kulturpflanzen, während Pflugbauer säen. Sogar Mais wird lochweise gepflanzt.
  • Viehzucht: Tiere, die für Arbeitsleistungen eingesetzt werden, sind unbekannt. Die Tierhaltung dient lediglich der Fleischgewinnung (Schweine, Hunde, Hühner, Ziegen), die Tiere werden zeitweise sich selber überlassen. Rinderherden und Pferde sind nicht bekannt [5].
  • Kleidung: Spinnen, Weben und Filzen wird betrieben; der primitive Griffelwebstuhl ist in Verwendung.
  • Töpferei: Vorhandene Töpferei zeigt die Hackbau-Kultur an; erfolgt aber ohne Töpferscheibe, als Freihandtöpferei (siehe auch 1. Beitragsbild). Die runde Urform für Schalen und Töpfe leitet sich vom Kürbis (Flaschenkürbis) ab.
  • Architektur: Viereckhäuser ersetzen Rundhäuser.
  • Mobiliar: Das Bettgestell ist typisch, in Amerika wird die Hängematte verwendet.
  • Brauerei: In der Hackbau-Kultur wird neben der Zuckervergärung (Wein, Palmensaft, Honig) auch Bier gebraut, indem Stärke alkoholisch vergoren wird. Bierbrauen ist im tropischen Hackbau-Gürtel weit verbreitet und fester Teil dieser uralten Kultur.
  • Werkzeuge: Zum Reibstein der Jäger und Sammler kommt der Mörser hinzu.
    Beile werden aus Stiel und Klinge zusammengesetzt, mit Winkelschäftung. Aus dem Beil entwickeln sich Axt, Hacke und Hammer. Durchbohrte Steinäxte gehören ausschließlich der pflügenden Kultur an.
  • Megalith-Kultur (ökonomisch nicht nötige Bauwerke[6]): WERTH bringt die Entstehung der nordischen Megalithkultur mit der Campignien-Kultur (4000 v. Chr.) in Verbindung, einer mesolithischen Kultur, die nach Wohnplatzfunden vom Campigny-Hügel im Département Seine-Maritime im Nordwesten Frankreichs benannt ist. WERTH geht davon aus, dass die Campignien-Kultur neben dem Hackbau bereits einen Pflugbau entwickelt hat. Die megalithische Kultur ist heute offensichtlich belegt, doch nicht der frühe Pflugbau [7].
  • Die vorliegende Aufstellung wird weiter ergänzt.

Weitere Aspekte der Hackbau-Kultur, die nicht von WERTH aufgegriffen wurden

Welche Verbindung besteht zwischen der prähistorischen Schifffahrt, wie sie beispielsweise von DR. Dominique Görlitz (Abora-Projekt ) vertreten werden?
Siehe dazu auch meine Blog-Artikel über die Phönizier, die mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit den Brandrodungs-Hackbau perfekt beherrschten und diesen während ausgedehnter Seereisen für die Beschaffung von Proviant nutzen.

Quellen und Erläuterungen

Bildquellen: Linienband-Keramik, Bestand der ur- und frühgeschichtlichen Sammlung der Universität Jena https://commons.wikimedia.org/wiki/File:LBK-Pottery.jpg
Im diesem Gefäß erkennen wir noch die Form einer Flaschenkürbis-Schale?

[1] WERTH, Prof. Dr. Emil; Grabstock Hacke und Pflug; Ludwigsburg 1954; Kapitel 3 Der Hackbau, seine Entstehung und Urheimat; Seite 55ff

[2] Stand der archäologischen Wissenschaften 1954: Im Wesentlichen gibt es keinen groben Bruch zum heutigen Stand. Selbst die Archäogenetik bestätigt heute viele Hypothesen der 1950er Jahren, wenn auch nicht alle von Prof. Werth. (Archäogenetiker beschäftigen sich mit der Analyse von antiker DNA, um Erkenntnisse über die genetische Zusammensetzung früherer menschlicher Populationen zu gewinnen. Sie nutzen moderne genetische Methoden, um Fragen zur Herkunft, Migration und Verbreitung von Völkern sowie zur Entwicklung von Merkmalen, Krankheiten oder Verwandtschaftsbeziehungen zu beantworten.)

[3] PINCKERT, Friedrich August; Die vollständige Brenn-Cultur in der Landwirthschaft [Die vollständige Brenn-Kultur in der Landwirtschaft]; Berlin 1861

[4] WERTH vertritt die These, dass die Ureinwohner Australiens ursprünglich Hackbauern waren. Sie brachten sowohl den Hund als auch die typische Steinaxt der Hackbaukultur mit. Es ist faszinierend, warum die Australier letztlich nur die Jagd- und Brandkultur beibehielten. Der Grund dafür liegt vermutlich in den besonders unfruchtbaren Böden Australiens – ein Thema, dem ich hier auf dem Blog sicher noch einmal gesondert nachgehen werde.

[5.] WERTH vertritt die interessante These ([1] Seite 117), dass die Hirtennomaden (Haltung von Viehherden in extensiver Wirtschaft) im wesentlichen aus der Jägervölkeren hervorgegangen sind, die in Kontakt zur Pflugbaukultur standen. Das träfe z.B. auf die Ur-Indogermanen zu (Jamnaja-Kultur; engl. Yamnaya culture; 3600 bis 2300 v. Chr.).

Einordnung der Ur-Indogermanen (Jamnaja-Kultur)

Die These, dass Hirtennomaden aus Jägervölkern hervorgegangen sind und in Kontakt mit frühen Ackerbaugesellschaften standen, ist in der Archäologie und Anthropologie weit verbreitet und nicht nur auf WERTH beschränkt. Es gibt zahlreiche Hinweise darauf, dass der Übergang von einer Jäger- und Sammlergesellschaft zur Hirten- oder Ackerbaugesellschaft schrittweise erfolgte.
Für die Jamnaja-Kultur, die oft als Proto-Indoeuropäisch angesehen wird, nehmen Wissenschaftler an, dass sie eine Kombination von Viehhaltung (vor allem Pferde) und Mobilität in den eurasischen Steppen nutzte. Die Theorie, dass diese nomadischen Gruppen durch den Kontakt mit sesshaften Ackerbauern neue Lebensweisen übernahmen (wie Viehzucht und landwirtschaftliche Techniken), findet sich auch in verschiedenen anderen Forschungen.
Ähnliche Theorien existieren für Hirtenkulturen im Nahen Osten und Nordafrika, wo Jäger-Sammler durch den Kontakt mit frühen Ackerbauern Viehzucht als zusätzliche Subsistenzform übernommen haben.

[6] Bezüglich der Megalith-Kultur beschäftigt mich die Frage, auf welche Weise die nötigen Kalorien produziert wurden, um Bauwerke dieser Art zu errichten. Wieviel Landwirtschaft war dafür notwendig?
Der Transport und die Bearbeitung riesiger Steine erfordert immense körperliche Anstrengung. Ein erwachsener Arbeiter könnte dabei täglich 3.000 bis 5.000 Kalorien oder mehr verbrauchen, je nach Intensität der Arbeit.

[7] Verbreitung über Randgebiete der neolithischen Kulturen West- und Osteuropas. "Campignienfunde spiegeln offenbar eine Akkulturation wider, die beim Vorstoß der ersten Bauernkulturen von Südfrankreich (La-Hoguette-Gruppe) und von Mitteleuropa (bandkeramische Kultur) bei den im Stadium der Jäger und Sammler lebenden Menschen im Westen und Osten entstand." Quelle: https://web.archive.org/web/20171010145026/https://de.wikipedia.org/wiki/Campignien